Die Einführung der COVID-19-Lockdown-Maßnahmen führte zu markanten Veränderungen im Mobilitätsverhalten der Menschen. Unsere vorliegende Studie hat diese Verhaltensänderungen quantifiziert.
EDIT: und weiter geht’s – im Rahmen einer Bachelorarbeit untersuchen wir gerade, wie sich der Radverkehr in Österreich während Corona entwickelt hat. Bitte teilnehmen und weiterverbreiten.
Zur Umfrage
Motivation
In Österreich erfolgte die Verhängung der Lockdown-Maßnahmen in sehr konzentrierter Form in einem kurzen Zeitraum. Die Lockdown-Verordnung führte zu einer massiven Reduktion der Wege der Menschen. Dies zog weitere unmittelbare, quantitative Wirkungen nach sich – z.B. die Reduktion des Zugsangebotes durch die ÖBB ab dem 11. März . Um die Änderungen im Bereich Alltagswege (hierunter verstehen wir Arbeits-, Ausbildungs-, und Einkaufswege) der Österreicher zu dokumentieren, haben wir ab dem 12. März 2020 eine Online-Befragung initiiert.
Der Fragebogen wurde in 20 Sprachen (Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Slowakisch, Slowenisch, Bulgarisch, Rumänisch, Japanisch, Thai, Chinesisch, Farsi, Türkisch, Malaysisch, Koreanisch, Ungarisch, Kurdisch, Brasilianisch, Tschechisch, Indonesisch) übersetzt und der Aufruf zur Teilnahme an der Befragung über soziale Medien gestreut. Bis Mitte Mai kamen so ca. elftausend Antworten aus über einhundert Ländern zusammen.
Im Folgenden werden einige ausgewählte Ergebnisse der Befragung für Österreich vertieft dargestellt: Im Zeitraum 23. März bis 12. Mai 2020 nahmen in Summe 3.256 Menschen aus Österreich an der Befragung teil. Die Antworten erfolgten auf Deutsch (3.107) und in anderen Sprachen (149).
Soziodemographie und Repräsentativität
Aufgrund der Stichprobenziehung mittels freiwilliger Teilnahme und Streuung hauptsächlich über soziale Medien kann nicht von einer repräsentativen Stichprobe ausgegangen werden.
- Jugendliche und ältere Menschen (> 70) sind stark unterrepräsentiert, junge Erwachsene (19-39) stark überrepräsentiert.
- Die Geschlechterverteilung ist mit 48,9 % weiblich zu 49,8 % männlich sehr ausgeglichen (0,5 % divers, 0,8 % keine Angabe).
- Städtische Regionen („predominantly urban“ und „intermediate“ gemäß NUTS3-Klassifikation) sind stark überrepräsentiert, ländliche („predominantly rural“ gemäß NUTS3) stark unterrepräsentiert
- besonders Wien sticht mit fast 2/3 der gesamtösterreichischen Antworten heraus
- die Stichprobe weist eine starke Tendenz zu höheren Bildungsabschlüssen auf, was aus der Streuung in universitätsnahen Kreisen resultieren dürfte
- nach der Beschäftigungsart sind Erwerbstätige und Studierende überrepräsentiert, SchülerInnen und PensionistInnen unterrepräsentiert
Ergebnisse
Die Sankey-Diagramme zeigen die Veränderung des Mobilitätsverhaltens vor dem Lockdown zum Verhalten während des Lockdowns als Mengenflüsse (von links nach rechts), getrennt für städtische und ländliche Regionen.
Anmerkung: „Pkw“ inkludiert die Antwortmöglichkeiten Pkw-Fahrer, Pkw mit Familie und Pkw-Fahrgemeinschaft; „Andere“ inkludiert E-Scooter, E-Bike, Motorrad, Park and Ride, Bike and Ride, Kiss and Ride und Unterschiedlich.
Bei den Pre-Corona-Werten (jeweils links) fällt der überdurchschnittlich hohe ÖV- und Rad-Anteil ins Auge, während Fuß- und Pkw-Wege unterrepräsentiert sein dürften. Bei den Veränderungen durch Corona werden die drastischen Auswirkungen im Mobilitätsverhalten offensichtlich: über 3/4 der ursprünglichen Arbeits und Ausbildungswege entfallen zufolge Home Office, Distance Learning, Schulfrei oder Arbeitslosigkeit (nicht berufstätig). Bei der Verkehrsmittelwahl sind massive Verschiebungen weg vom öffentlichen Verkehr zubeobachten. Der Modal Split verschiebt sich relativ zum Pkw hin.
Die Erkenntnisse stimmen mit Medienberichten überein, die Rückgänge im öffentlichen Verkehr von bis zu 80 % kolportieren, während der Kfz-Verkehr an den Wiener Zählstellen um 50 % zurückgegangen ist und an den Radzählstellen um ca. 20 %, jedoch mit großen Schwankungsbreiten je nach Lage der Zählstelle (bei Radzählstellen auf Freizeitrouten wurden sogar deutlich Zuwächse festgestellt).
Die Rückmeldungen aus unserer Befragung zeigen, dass rund 6% (Stadt) bzw. 9% (ländlich) der Befragten durch COVID-19 ihre Beschäftigung verloren haben. Zum Vergleich, das AMS verzeichnete zwischen Ende Februar und Ende April einen Anstieg der Arbeitslosenquote um 4,7 %-Punkte von 8,1 % auf 12,8 %.
Bei den Veränderungen beim Arbeitsweg nach Art des Arbeitsplatzes wird das Ausmaß der Verlagerbarkeit bestimmter Branchen ins Home office sichtbar: während Angestellte von Spitälern und Pflegeheimen sowie von Produktionsbetrieben oder Lagern meist gleich oft oder seltener den Arbeitsweg zurücklegten, konnten Tätigkeiten in Büros und Klassenräumen oft ins Home office verlagert werden, bei Betrieben mit Kundenverkehr teilweise auch.
Beim Einkaufsverhalten von Lebensmitteln zeigte sich ein Trend zu seltenerem, lokalerem Einkauf größerer Mengen und haltbarerer Produkte. Auswärts Essen wurde drastisch eingeschränkt, Essenzustellung wurde teilweise häufiger und teilweise seltener als vor Corona in Anspruch genommen.
Bei der Verkehrsmittelwahl der Einkaufswege überwiegt vor und während Corona der Fußweg (jeweils über 50 %). Einkaufswege mit dem Auto nahmen leicht zu, jene mit dem Rad leicht ab. Ca. 5 % der Befragten gaben an, während Corona gar nicht einkaufen zu gehen
Ausblick
Die vorliegende Studie liefert eine nicht-repräsentative Momentaufnahme der Änderungen des Mobilitätsverhaltens während der Corona-Einschränkungen. Die nächste Aufgabe der Verkehrsforschung wird es sein, die Nachhaltigkeit des geänderten Mobilitätsverhaltens zu untersuchen, des Vertrauensverlusts in den öffentlichen Verkehr, des Umstiegs auf Kfz und Rad.